Aktualisiert am 11-Dez-2006  
   
   
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Riel, Jorn
Vor dem Morgen
Zürich : Unionsverl., 2006

Schon der Blick auf das Umschlagbild führt in die Ferne, an die Eiskante Grönlands. Die sichtbare Weite des Horizontes im großartigen Farbenspiel der tief stehenden Sonne; Freiheit. Rauh und schön wie der Norden ist diese Erzählung archaisch. In welcher Zeit spielt diese Geschichte, wann genau lebt diese Sippe? Das ist gar nicht wichtig.

Ninioq hat das Gefühl als stünde sie am Rand des Lebens. Sie ist eine der Ältesten in der Sippe der nomadisierenden Inuit. Alle Erfahrungen eines langen Lebens sammeln sich in ihren Gedanken. Es ist Zeit, weiterzugeben, was sie weiß. Denn es könnte auch bald Zeit sein, aufs Eis zu gehen. Allein, um dort zu warten auf das Eingehen ins Reich der Ahnen. Aber dieser arktische Sommer bringt in seiner Fülle und Schönheit erst mal Frohsinn und Leichtigkeit. Jorn Riel entfaltet ein farbiges Panorama in starken Bildern.

Der Leser erlebt die große Freude der Sippe über den üppigen Fischfang, das Brautwerben auf sehr eigentümliche Art, die Unterweisung der Kinder in den Dingen des Lebens. Besonders dabei spielt das Erzählen alter Legenden und Begebenheiten aus der Familie eine wichtige und zwischen den Generationen verbindende Rolle.

Das ist auch einer der Gründe warum die alte und erfahren Ninioq mit Ihrem Enkel Manik für einige Wochen allein auf einer Insel bleiben soll. Der Junge soll intensiv lernen, von der Natur und von seiner weisen Großmutter. Es wird für beide eine wunderschöne Zeit, bis der Tag anbricht, an dem sie abgeholt werden sollen. Aber es erscheint kein Boot am Horizont. Fesselnd und dicht erzählt ist dieses kleine Buch durchaus in einem Zug zu lesen. Dann erschließen sich Dramatik und tiefe Wahrheit des Textes besonders eindrücklich. Vor dem Morgen fällt eine Entscheidung, verantwortungsvoll, gnädig und grausam.

ørn Riel wurde 1931 in Odense (Dänemark) geboren. Er zählt zu den größten zeitgenössischen Autoren Skandinaviens und des arktischen Nordamerika. Sein Werk umfasst über vierzig Romane, Erzählungen, Kurzgeschichten, Märchen und Gedichte und wurde in acht Sprachen übersetzt. 1951-1953 nahm Jørn Riel, gerade zwanzig Jahre alt, an einer geologischen Expedition in die Arktis teil. In dieser Zeit begann er zu schreiben. Zwei Jahre verbrachte er auf der grönländischen Insel Ella mit einem Eskimo seines Alters, sechzehn Jahre lebte der Autor in Grönland, der größten Insel der Welt. 1971 begann Riel seine Geschichten über die Arktis niederzuschreiben. In allen geht es um die Jäger und Fallensteller im Nordosten Grönlands, und sie geben ein außergewöhnliches Zeugnis ab von der Zivilisation der Arktis, der Kultur und dem Leben der Inuit. Jørn Riel folgt in seinen Romanen und Erzählungen den mündlichen Erzähl-Traditionen und dem Sprachgestus dieses nordischen Volkes, bringt den Lesenden das Leben und die Kultur der arktischen Eiswüste in reichhaltiger wie schalkhaft schillernder Weise nahe.

 

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