Mulot,
Sibylle
Nachbarn.
Zürich : Diogenes, 1995
Das unscheinbare Buch beginnt wie eine stimmungsvolle
Reisebeschreibung mit der lyrischen Schilderung einer lieblichen
Landschaft am Fuße der Vogesen.
Gleichsam von oben schwebend wie eine lange
Kameraeinstellung öffnet sich langsam, fast bedächtig der Blick
auf eine kleine Stadt, Parisey. Beginnend am verwunschenen Dorfteich,
ahnungsvoll als Quellwasser vorgestellt, schauen wir in die Runde.
Als würde ein kleiner Stein mitten im Wasser nach und nach immer
grössere Kreise ziehen, entwickelt sich diese Geschichte vom dörflich-nachbarlichen
Zusammenleben zur Parabel schicksalhafter Lebensläufe.
Gemächlich lernen wir die Hauptfiguren Reneè
und ihre Mutter Judith kennen. Sie sind eingesponnen in die kleinen
Dinge des Alltags mit den vielen vertrauten Mustern. Nur undeutlich
zeichnen sich anfangs die unbeantworteten Fragen der Vergangenheit
ab. Etwas Drohendes scheint indess über allem zu schweben. Selbst
in den immer wiederkehrenden wundervollen Landschaftsbeschreibungen
scheinen die Geister der Vergangenheit nicht weit zu sein. Denn
in den letzten Kriegstagen des Sommers 1944 kamen viele Menschen
unter ungeklärten Umständen zu Tode. Auch Reneès Vater gehört dazu.
Noch nach 40 Jahren unter dem Verdacht des Verrats leidend, will
Sie wissen und verstehen. Und einer, der dabei war, bricht endlich
sein Schweigen ...
Sibylle Mulot wurde 1950 in Reutlingen geboren.
In ihre Lieblingsbücher schrieb sie schon bald mit fester Hand:
»Dieses Buch khört mir.« Aus derselben Zeit stammt die Überzeugung,
empfangenes Lesevergnügen müsse man, egal auf welche Art, weitergeben.
Sie studierte Germanistik und Romanistik und promovierte 1977 über
Robert Musil. Danach Journalistin bei der "Süddeutschen Zeitung".
Heute wohnt Sibylle Mulot mit ihrem Mann und zwei Töchtern in Frankreich.
Für "Nachbarn" erhielt sie 1995 den Ersten Preis "Éditeur
en langue allemande" des Salon de l'Alsatique de Marlenheim.
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