Tokarjewa,
Viktorija
Eine Liebe fürs ganze Leben
Erzählung - Zürich: Diogenes, 2003
Viktorija Tokarjewa
wurde 1937 in Leningrad geboren, diplomierte an der Leningrader
Musikhochschule als Pianistin und arbeitete kurze Zeit als Klavierlehrerin.
Sie begann früh zu schreiben und immatrikulierte sich schließlich
an der Moskauer Filmhochschule im Drehbuchfach, die sie 1968 mit
einem Diplom abschloss. Fünfzehn ihrer Drehbücher wurden bislang
verfilmt.
In der Erzählung
"Eine Liebe fürs ganze Leben" lernen wir die Russin Irina aus Baku
kennen. Ihr Ehemann hat mit seiner Geliebten das Weite gesucht und
die junge Frau muß die beiden Kinder allein groß ziehen. Den Glauben
an die große Liebe hat sie verloren. Doch da tritt völlig unerwartet
der Aserbaidschaner Kjamal in ihr Leben. Kjamal ist jung, schön,
und er riecht nach Erdbeeren, Johannisbeerblättern und frischem
Heu. Bis zum Tod will er mit Irina zusammenbleiben, aber heiraten
kann er sie nicht, schließlich ist sie eine Andersgläubige. Die
Jahre vergehen, die Sowjetunion fällt auseinander und in Aserbaidschan
bricht der Bürgerkrieg aus. Irina muß das Land verlassen und will
bei ihren Kindern in Moskau unterkommen. Doch die haben bereits
ihr eigenes Leben. Sie kämpft sich durch, mit Hartnäckigkeit und
einer Portion Unverfrorenheit meistert sie ihr Leben. Und was daran
nicht so ist, wie sie es gern hätte, ignoriert sie, wenn sie es
nicht ändern kann. So wie Irina jahrelang nicht wahrhaben will,
dass der schöne Kjamal längst verheiratet ist.
Tokarjewas Erzählung
ist die filmische Ausbildung anzumerken: In schlichter, schnörkelloser
Sprache werden Bilder aneinandergereiht und mit wenigen Strichen
die Szenen skizziert. Die Figuren gewinnen ihren Charakter durch
ihre Gesten, durch kleine alltägliche Handlungen. Die Autorin beobachtet
sie zugleich mit großer Sensibilität und kühler Distanz, schreibt
eine "russische Soziologie en miniature", meist melancholisch, aber
stets mit lakonischem Humor.
|