Aktualisiert am 27-Jul-2004  
   
   
   
   
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Kriegsende in Tautenhain
Von Gottfried Senf

Der 15. April 1945 war ein Sonntag. Seit Tagen herrschte wunderbares Frühlingswetter. Die Stare oben im alten Birnbaum waren auch schon eingetroffen. Friedliche Stille einerseits, aber am Abend vorher fuhr eine Wehrmachtseinheit durch Tautenhain und Geschützdonner aus der Chemnitzer Gegend liessen uns immer wieder an den noch andauernden Krieg denken. Ich erinnere mich genau an diesen Sonntag und an die ersten Stunden nach dem Aufstehen so gegen halb acht. Ich war 9 Jahre alt, und die große Schwester war bereits seit halb sieben zusammen mit vielen Tautenhainern "auf der Halle", wie der Speicher der Bezugsgenossenschaft am Bahnhof in Tautenhain genannt wurde. Dort sollten an dem Vormittag Nahrungsmittel an die Einwohner verteilt werden.

So gegen 8 Uhr hörten und sahen wir zwei kleine Jagdflugzeuge sehr tief über den Ort fliegen. Im ersten Moment dachten wir, es wären welche vom Jagdfliegerhorst draußen am Königsfelder Kreuz. Das harte "Tackern" machte uns aber sehr bald bewusst, hier wird scharf geschossen und es sind keineswegs deutsche Flugzeuge. Nach diesem ersten Überflug galt nur eines: weg vom Fenster und hinunter in den Keller.

Tatsächlich kamen sie noch mindestens 2 bis 3 mal. Ganz nahes Motorengeräusch und eben das "Tackern" der Bordgeschütze flossen ineinander. Aber dann war ein anderes, ganz seltsames Prasseln zu hören, als ob mehrere schwere LKW draußen vorbeifahren würden. Als wir einige Minuten von den Flugzeugen nichts mehr hörten, lugten wir vorsichtig durch das Wohnzimmerfenster hinaus. Es sah aus, als ob ganz Tautenhain brennen würde. Gleich rechts sahen wir die Ursache des seltsamen Prasselns. Die Pfarrscheune, keine 25m von unserem Haus entfernt, stand in Flammen. Hätte der Wind ein klein wenig anders geweht, wäre unser Haus ohne Zweifel mitverbrannt. Der große Kirschbaum zwischen Pfarrscheune und unserem Haus - er stand zu dieser Zeit in vollem Saft - war am nächsten Tag total verdorrt.

Als wieder einige Minuten ohne Flieger verstrichen waren, rannten wir hinunter zu Frenzels. Deren Keller schien sicherer zu sein und außerdem haben wir diesen Raum auch in den Wochen vorher bei Fliegeralarm manchmal aufgesucht. Diesmal war die Lage nun wirklich ernst. Alles war schon angsterregend genug, eine Sache aber blieb in meiner Erinnerung ganz besonders haften. Im Keller war diesmal auch eine Familie mit einem debilen Kind. Die Frau mit den zwei Kindern gehörte zu den Ausgebombten, die man von Leipzig in die umliegenden Dörfer eingewiesen hatte. Draußen die Flammen und der Rauch, drinnen das ängstliche Lauschen der Erwachsenen und das Toben des behinderten Kindes. Das wird wohl insgesamt eine reichliche Stunde gedauert haben. Als draußen nichts mehr von Flugzeugen zu hören war, ging Frau Frenzel vorsichtig nach oben. Wir warteten gespannt. Hedwig Frenzel kam bald wieder zurück, kreidebleich, klammerte sich an ihren Mann und sagte: "Oskar, es ist aus, oben stehen amerikanische Panzer! "

Heute kann ich mir vorstellen, was es für die Erwachsenen bedeutet hat. Wir Kinder stellten uns ganz schnell auf die neue Situation um. Der Schuppen von Martin Frenzel auf der gegenüberliegenden Straßenseite hatte auch einen Treffer abbekommen und brannte. Was erregte aber unsere Aufmerksamkeit besonders? Wir sammelten die Splitter oder Geschoßreste! Dann liefen wir ins Unterdorf bis zu Schwarzens. Während auf der Dorfstraße nur einzelne Panzer standen, eröffnete sich uns - und nicht nur uns Kindern - hier an der Straße nach Ebersbach ein ungewöhnliches Schauspiel. Kolonnen von Panzern, LKW, Geschützen und Jeeps fuhren langsam, aber kontinuierlich vom Bahnhof her den Ebersbacher Berg hinauf. Wer nun zuerst einen Arm zum vorsichtigen Winken gehoben hat - ein Amerikaner auf einem Panzer oder einer von den erwachsenen Tautenhainern oder eines von uns Kindern? - weiß ich nicht mehr. Aber an eines erinnere ich mich ganz genau: Wir Kinder standen ganz vorn und winkten. Da kam von hinten aus der Ansammlung der Erwachsenen eine Frau auf uns zu, packte uns bei den Schultern und sagte ganz aufgeregt und eindringlich: "Das sind doch unsere Feinde! Wie könnt Ihr denn unseren Feinden zuwinken! " Es war eine Frau aus Leipzig, die ebenfalls einige Wochen nach Tautenhain eingewiesen war. Bis zu diesem Tag galt sie wohl als überzeugte Nationalsozialistin, von nun ab wurden Frauen dieser Art eher als "Nazisse" bezeichnet.

Auszug aus dem Tautenhainer Dorfbuch Gottfried Senf. Buchvorstellung hier.

 

 
 
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