Kalkabbau um
Tautenhain
Tautenhainer Dorfgeschichten
Von Dr. Gottfried Senf
Die Jahre nach dem Deutsch- Französischen Krieg
1870/71 werden oft als "die Gründerjahre" bezeichnet. Die Zeit war
geprägt durch einen großen wirtschaftlichen Aufschwung. Eine rege
Bautätigkeit setzte überall ein und noch heute sind die typischen
Gründerzeitbauten in allen deutschen Städten auffällig. Die in bisher
unbekannter Weise auflebende Bautätigkeit rief einen enormen Aufschwung
der Baustoffindustrie hervor. Auch in Geithain und Umgebung wurden
Ziegeleien aufgebaut und der Kalkabbbau sowie seine Weiterverarbeitung
erheblich intensiviert.
Herr Diederichs aus Geithain hat sich seit vielen
Jahren mit der Geschichte der Baustoffindustrie in Geithain beschäftigt.
Das Ziel ist, einen vollständigen "Lehrpfad" der interessierten
Öffentlichkeit anbieten zu können. Mit dem restaurierten Ringofen
auf dem Sommerhof sowie den erst kürzlich beendeten Arbeiten auf
dem Gelände der ehemaligen Ziegelei von Eduard Kretzschmar ist schon
sehr viel erreicht worden. Die Reste des Einkammerofens vor "Blumes
Kalkloch" am Ortsausgang von Tautenhain nach Geithain müßten erhalten
werden, weil ein solcher Ofen am Anfang der Entwicklungskette vom
Ein- über Doppel- und Mehrkammerofen bis zum Ringofen steht.
Viele Tautenhainer fanden Arbeit in den Gruben
und Ziegeleien der Umgebung. Als der Turmknopf der Kirche 1877 nach
der Reparatur wieder geschlossen wurde, legte man folgende Mitteilung
hinein: "Das Dorf hat 500 Einwohner. Man kann wohl sagen, daß es
sich in einem leidlichen Wohlstand befindet, denn auch die Handarbeiter
haben einen guten Verdienst meist in den Kalkbrüchen. ... Ein halber
bis ein Taler den Tag." Bei dem angegebenen Lohn sind natürlich
die damaligen Lebenshaltungskosten und die Arbeitszeit in den Vergleich
einzubeziehen! Es relativiert sich schon, wenn man erfährt, daß
"die an den Kalköfen beschäftigten Arbeiterinnen täglich 11 Stunden,
auch an den Vorabenden von Sonn- und Feiertagen beschäftigt" sind.
Arbeitszeit und Bezahlung führten verschiedentlich zu Auseinandersetzungen
zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern bzw. zu Strafbescheiden
wegen Verstoßes gegen die Gewerbeordnung.
So wird am 15.11.1894 Otto Reichelt, Vertreter
der Firma Heinrich Bauch, in das Rathaus von Geithain zitiert, nachdem
bei einer Revision des Gewerbeamtes Verstöße festgestellt wurden.
Firmenchef Bauch beschwert sich darauf hin bei der Amtshauptmannschaft
in Borna: "...Ich darf sie nur 10 Stunden beschäftigen, andere,
z.B. Lehmann, beschäftigt sie 11 Stunden. ... Mir laufen die Arbeiter
weg." In dem hier zitierten Dokument und in anderen Zeugnissen wird
immer wieder auf den harten Konkurrenzkampf zwischen den Geithainer
Kalksteinbruchbetrieben und solchen aus der Gegend um Gera hingewiesen.
Abbau und Verarbeitung von Kalkstein haben in
der Vergangenheit in Tautenhain immer eine große Rolle gespielt.
Während aber die Geithainer Kalkindustrie erst nach 1870 ihren Höhepunkt
erreichte, war in der Tautenhainer Flur der Kalkabbau schon fast
zum Erliegen gekommen. Die "Kalklöcher" und die daneben befindlichen
Abraumberge - Blumes, Krötzschens und Webers Kalklöcher südlich
der Bahnlinie, aber auch die zwischen Tautenhain und Hopfgarten
nördlich der Bahn - wurden ab Mitte des 19. Jahrhunderts aufgegeben.
Gehen wir nach der Zahl der Anträge zum Bau eines Kalkofens, die
vollständig in den Archiven vorliegen, dann ist der Höhepunkt Anfang
des 19. Jahrhunderts wahrscheinlich. Es sind durchweg Anträge von
Tautenhainer Bauern an das Amt in Colditz. Die ältesten stammen
vom Jahre 1723. Ihre Zahl nimmt zu. Zwischen 1820 und 1850 werden
10 Anträge gestellt. Nur zwei Beispiele seien genannt: 1833 Gesuch
des Mühlengutbesitzers Johann Gabriel Weber um die Erlaubnis zum
Bau eines Doppelkalkofens, 1847 Gesuch des Gutsbesitzers Gnäupel
(später Gut von Alfred Weber, G.S.) um die Erlaubnis zum Bau eines
dritten Kalkofens an seinen Doppelkalkofen.
Diesen Passagen aus Dokumenten des Staatsarchivs
in Leipzig entspricht die Mitteilung im Tautenhainer Kirchenarchiv
von 1840: Tautenhain hat 319 Einwohner, die sich in 22 Nachbarn
und 30 Häusler, einige Hausgenossen und Auszügler einteilen. Die
Einwohner beschäftigen sich zwar mit der Oeconomie, doch finden,
da der Erdboden Kalkstein enthält, weshalb auch hier mehrere Kalköfen
sind, viele derselben, und namentlich alle Häusler ihre reichliche
Nahrung in der Zubereitung dieses Steines, weswegen auch der Tageslohn
hier viel höher als an anderen Orten ist." ]
Der Abbau erfolgte zu dieser Zeit natürlich mit
Hacke und Schaufel. Wurde das Loch zu tief, verwendete man neben
der Schubkarre wohl auch eine Lore mit Seilwinde für den Transport.
Der Kalk wurde in unmittelbarer Nähe gebrannt. Als Brennmaterial
diente ursprünglich Holz. Ab etwa 1800 wurde der Kohleabbau in Thierbaum
intensiviert. Vorher verwendete man die Kohle nur zum Eigen-verbrauch.
Ab 1820 wurden in Thierbaum Torfziegel im Handstrich hergestellt,
getrocknet und kommerziell vertrieben [L:48]. In den folgenden Jahren
ist Thierbaumer Torf in den Tautenhainer Kalköfen, aber auch Kalkstein
aus Tautenhain zur Beschickung der Öfen in Thierbaum verwendet worden.
Der Branntkalk (auch Graukalk genannt) wurde als Baukalk und Dünger
per Pferdefuhrwerk abgefahren und verkauft. Erst an der Baustelle
erfolgte das Löschen (das Einsumpfen) und die Herstellung des Mörtels.
Die Kalkgruben gehörten zu dieser Zeit den Bauern, auf deren Grund
und Boden sie sich befanden.
Gegen Ende des 19. Jahrhunderts änderte sich
das. Kalkabbau und Verarbeitung konzentrierten sich mehr und mehr
in den Händen weniger Besitzer, wie eben Wagner, Bauch, Lehmann
und Kretzschmar in Geithain. Die Arbeitsbedingungen waren hart und
nicht nur Männer, sondern auch Frauen arbeiteten bis zu 11 Stunden
am Tag, wie wir oben sahen. Kinderarbeit gab es jedoch nicht mehr.
Um 1840 ist diese aber durchaus noch üblich. Ein beeindruckendesZeugnis
dazu legt Hulda Diebler ab. In einem ihrer Familiengedichte schreibt
sie zu ihrer Mutter: Und die liebe Mutter mit 13 Jahren, mußte schon
große Not erfahren. Beim Kalkofenfüllen einen Frost sie bekam, der
Arzt ihr im Knie einen Knochen rausnahm. Ach wie schrecklich, als
ihr das passiert, sie wurde an Krücken konfirmiert. Kein Auge blieb
trocken, wie Mutter uns gesagt, sie wurde immer traurig, wenn wir
danach gefragt. Palmsonntag war für Mutter immer voll Leid, sie
dachte zurück stets an die schwere Zeit. Und Mutter, sie blieb für
immer lahm, sie lernte das Schneidern, was ihr gut bekam. Ihre Mutter
verlor sie gar bald, als sie war 19 Jahre alt. Ihrem Vater hat sie
die Wirtschaft geführt, der war im Dorfe Gänsehirt. So vergingen
die Jahre voll Freud und Leid, dann lernte sie Vater kennen, es
wurde gefreit. .....
Die Anfänge des Kalkabbaues in Tautenhain liegen
sehr weit in der Vergangenheit. Der erste Beleg dazu gehört sogar
zu den ersten schriftlichen Belegen zur Existenz des Ortes überhaupt.
Im "Neuen Archiv von Sachsen" lesen wir in einem Dokument vom 7.
März 1396 zum Wiederaufbau des Eilenburger Schlosses durch Markgraf
Wilhelm I.: "Calk zu dem gemure, den man holte zu Tutenhyn." Nun
wird sich mancher fragen, wieso gerade Tautenhainer Kalk mit Pferd
und Wagen mühsam bis nach Eilenburg gekarrt wurde. Die Antwort ist
aber einfach. Tautenhain war zu dieser Zeit im Besitz der Colditzer
Herren. Und diese besaßen einige Jahre das Schloß Eilenburg. Ein
kleiner zeitlicher Widerspruch existiert. Während nach obigem Zitat
1396 der Markgraf das Schloß schon besitzt, steht bei Truöl daß
Sigmund von Colditz es erst 1404 an Wilhelm I. verkauft hat. Nun
ja, die Bemerkung zum Kalk ist für unsere Tautenhainer Historie
wichtiger als die Immobiliengeschäfte dieser hohen Herren.
Auszug aus dem Tautenhainer Dorfbuch von Gottfried
Senf. Buchvorstellung hier.
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