Aktualisiert am 27-Jul-2004  
   
   
   
   
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Kalkabbau um Tautenhain
Tautenhainer Dorfgeschichten
Von Dr. Gottfried Senf

Die Jahre nach dem Deutsch- Französischen Krieg 1870/71 werden oft als "die Gründerjahre" bezeichnet. Die Zeit war geprägt durch einen großen wirtschaftlichen Aufschwung. Eine rege Bautätigkeit setzte überall ein und noch heute sind die typischen Gründerzeitbauten in allen deutschen Städten auffällig. Die in bisher unbekannter Weise auflebende Bautätigkeit rief einen enormen Aufschwung der Baustoffindustrie hervor. Auch in Geithain und Umgebung wurden Ziegeleien aufgebaut und der Kalkabbbau sowie seine Weiterverarbeitung erheblich intensiviert.

Herr Diederichs aus Geithain hat sich seit vielen Jahren mit der Geschichte der Baustoffindustrie in Geithain beschäftigt. Das Ziel ist, einen vollständigen "Lehrpfad" der interessierten Öffentlichkeit anbieten zu können. Mit dem restaurierten Ringofen auf dem Sommerhof sowie den erst kürzlich beendeten Arbeiten auf dem Gelände der ehemaligen Ziegelei von Eduard Kretzschmar ist schon sehr viel erreicht worden. Die Reste des Einkammerofens vor "Blumes Kalkloch" am Ortsausgang von Tautenhain nach Geithain müßten erhalten werden, weil ein solcher Ofen am Anfang der Entwicklungskette vom Ein- über Doppel- und Mehrkammerofen bis zum Ringofen steht.

Viele Tautenhainer fanden Arbeit in den Gruben und Ziegeleien der Umgebung. Als der Turmknopf der Kirche 1877 nach der Reparatur wieder geschlossen wurde, legte man folgende Mitteilung hinein: "Das Dorf hat 500 Einwohner. Man kann wohl sagen, daß es sich in einem leidlichen Wohlstand befindet, denn auch die Handarbeiter haben einen guten Verdienst meist in den Kalkbrüchen. ... Ein halber bis ein Taler den Tag." Bei dem angegebenen Lohn sind natürlich die damaligen Lebenshaltungskosten und die Arbeitszeit in den Vergleich einzubeziehen! Es relativiert sich schon, wenn man erfährt, daß "die an den Kalköfen beschäftigten Arbeiterinnen täglich 11 Stunden, auch an den Vorabenden von Sonn- und Feiertagen beschäftigt" sind. Arbeitszeit und Bezahlung führten verschiedentlich zu Auseinandersetzungen zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern bzw. zu Strafbescheiden wegen Verstoßes gegen die Gewerbeordnung.

So wird am 15.11.1894 Otto Reichelt, Vertreter der Firma Heinrich Bauch, in das Rathaus von Geithain zitiert, nachdem bei einer Revision des Gewerbeamtes Verstöße festgestellt wurden. Firmenchef Bauch beschwert sich darauf hin bei der Amtshauptmannschaft in Borna: "...Ich darf sie nur 10 Stunden beschäftigen, andere, z.B. Lehmann, beschäftigt sie 11 Stunden. ... Mir laufen die Arbeiter weg." In dem hier zitierten Dokument und in anderen Zeugnissen wird immer wieder auf den harten Konkurrenzkampf zwischen den Geithainer Kalksteinbruchbetrieben und solchen aus der Gegend um Gera hingewiesen.

Abbau und Verarbeitung von Kalkstein haben in der Vergangenheit in Tautenhain immer eine große Rolle gespielt. Während aber die Geithainer Kalkindustrie erst nach 1870 ihren Höhepunkt erreichte, war in der Tautenhainer Flur der Kalkabbau schon fast zum Erliegen gekommen. Die "Kalklöcher" und die daneben befindlichen Abraumberge - Blumes, Krötzschens und Webers Kalklöcher südlich der Bahnlinie, aber auch die zwischen Tautenhain und Hopfgarten nördlich der Bahn - wurden ab Mitte des 19. Jahrhunderts aufgegeben. Gehen wir nach der Zahl der Anträge zum Bau eines Kalkofens, die vollständig in den Archiven vorliegen, dann ist der Höhepunkt Anfang des 19. Jahrhunderts wahrscheinlich. Es sind durchweg Anträge von Tautenhainer Bauern an das Amt in Colditz. Die ältesten stammen vom Jahre 1723. Ihre Zahl nimmt zu. Zwischen 1820 und 1850 werden 10 Anträge gestellt. Nur zwei Beispiele seien genannt: 1833 Gesuch des Mühlengutbesitzers Johann Gabriel Weber um die Erlaubnis zum Bau eines Doppelkalkofens, 1847 Gesuch des Gutsbesitzers Gnäupel (später Gut von Alfred Weber, G.S.) um die Erlaubnis zum Bau eines dritten Kalkofens an seinen Doppelkalkofen.

Diesen Passagen aus Dokumenten des Staatsarchivs in Leipzig entspricht die Mitteilung im Tautenhainer Kirchenarchiv von 1840: Tautenhain hat 319 Einwohner, die sich in 22 Nachbarn und 30 Häusler, einige Hausgenossen und Auszügler einteilen. Die Einwohner beschäftigen sich zwar mit der Oeconomie, doch finden, da der Erdboden Kalkstein enthält, weshalb auch hier mehrere Kalköfen sind, viele derselben, und namentlich alle Häusler ihre reichliche Nahrung in der Zubereitung dieses Steines, weswegen auch der Tageslohn hier viel höher als an anderen Orten ist." ]

Der Abbau erfolgte zu dieser Zeit natürlich mit Hacke und Schaufel. Wurde das Loch zu tief, verwendete man neben der Schubkarre wohl auch eine Lore mit Seilwinde für den Transport. Der Kalk wurde in unmittelbarer Nähe gebrannt. Als Brennmaterial diente ursprünglich Holz. Ab etwa 1800 wurde der Kohleabbau in Thierbaum intensiviert. Vorher verwendete man die Kohle nur zum Eigen-verbrauch. Ab 1820 wurden in Thierbaum Torfziegel im Handstrich hergestellt, getrocknet und kommerziell vertrieben [L:48]. In den folgenden Jahren ist Thierbaumer Torf in den Tautenhainer Kalköfen, aber auch Kalkstein aus Tautenhain zur Beschickung der Öfen in Thierbaum verwendet worden. Der Branntkalk (auch Graukalk genannt) wurde als Baukalk und Dünger per Pferdefuhrwerk abgefahren und verkauft. Erst an der Baustelle erfolgte das Löschen (das Einsumpfen) und die Herstellung des Mörtels. Die Kalkgruben gehörten zu dieser Zeit den Bauern, auf deren Grund und Boden sie sich befanden.

Gegen Ende des 19. Jahrhunderts änderte sich das. Kalkabbau und Verarbeitung konzentrierten sich mehr und mehr in den Händen weniger Besitzer, wie eben Wagner, Bauch, Lehmann und Kretzschmar in Geithain. Die Arbeitsbedingungen waren hart und nicht nur Männer, sondern auch Frauen arbeiteten bis zu 11 Stunden am Tag, wie wir oben sahen. Kinderarbeit gab es jedoch nicht mehr. Um 1840 ist diese aber durchaus noch üblich. Ein beeindruckendesZeugnis dazu legt Hulda Diebler ab. In einem ihrer Familiengedichte schreibt sie zu ihrer Mutter: Und die liebe Mutter mit 13 Jahren, mußte schon große Not erfahren. Beim Kalkofenfüllen einen Frost sie bekam, der Arzt ihr im Knie einen Knochen rausnahm. Ach wie schrecklich, als ihr das passiert, sie wurde an Krücken konfirmiert. Kein Auge blieb trocken, wie Mutter uns gesagt, sie wurde immer traurig, wenn wir danach gefragt. Palmsonntag war für Mutter immer voll Leid, sie dachte zurück stets an die schwere Zeit. Und Mutter, sie blieb für immer lahm, sie lernte das Schneidern, was ihr gut bekam. Ihre Mutter verlor sie gar bald, als sie war 19 Jahre alt. Ihrem Vater hat sie die Wirtschaft geführt, der war im Dorfe Gänsehirt. So vergingen die Jahre voll Freud und Leid, dann lernte sie Vater kennen, es wurde gefreit. .....

Die Anfänge des Kalkabbaues in Tautenhain liegen sehr weit in der Vergangenheit. Der erste Beleg dazu gehört sogar zu den ersten schriftlichen Belegen zur Existenz des Ortes überhaupt. Im "Neuen Archiv von Sachsen" lesen wir in einem Dokument vom 7. März 1396 zum Wiederaufbau des Eilenburger Schlosses durch Markgraf Wilhelm I.: "Calk zu dem gemure, den man holte zu Tutenhyn." Nun wird sich mancher fragen, wieso gerade Tautenhainer Kalk mit Pferd und Wagen mühsam bis nach Eilenburg gekarrt wurde. Die Antwort ist aber einfach. Tautenhain war zu dieser Zeit im Besitz der Colditzer Herren. Und diese besaßen einige Jahre das Schloß Eilenburg. Ein kleiner zeitlicher Widerspruch existiert. Während nach obigem Zitat 1396 der Markgraf das Schloß schon besitzt, steht bei Truöl daß Sigmund von Colditz es erst 1404 an Wilhelm I. verkauft hat. Nun ja, die Bemerkung zum Kalk ist für unsere Tautenhainer Historie wichtiger als die Immobiliengeschäfte dieser hohen Herren.

Auszug aus dem Tautenhainer Dorfbuch von Gottfried Senf. Buchvorstellung hier.

 

 
 
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